Sonntag, 7. Oktober 2012

Abgesang


Woran merkt man, dass es vorbei ist?

So richtig klar wurde es mir, als der Sommer begann. Etwas war anders. Etwas fehlte. Dieses Sommergefühl. Leichtigkeit. Die unbändige Lust, dich zu erleben in all deiner Rauheit, die doch so sanft ist, wenn sich die Nacht über uns legt, wenn die Sonne im Fluss versinkt, die Motoren der Autos, Bahnen und Baumaschinen leiser werden  und die Stimmen erstmals die Oberhand gewinnen im Großstadtchor.
Diese Abende, Nächte auch, waren es, die ich so sehr liebte.  Nie fühlte ich mich wacher, lebenshungriger, trauriger und glücklicher, als mit deinem heißen Atem auf meiner Haut in einer Sommernacht.
Vorbei.
Ich bin müde. Dein Atem raubt mir die Luft, dein Puls ist nicht mehr der meine. Deine Silhouette in der Morgendämmerung – schwere Fotobände ließen sich mit meinen Versuchen füllen, sie für die Ewigkeit festzuhalten. Und jetzt? Du bist immer noch schön. Wahrscheinlich.

Woran merkt man, dass es vorbei ist?

Wie du aussiehst, wenn du Sonntagnachmittag aufwachst. Wie du riechst, morgens schon und abends erst. Und deine Leute – alle total hip und unglaublich nervig. Früher wollte ich auch so sein. Hip, nicht nervig. Mein Kleiderschrank ist Schweden – außen wie innen, Hauptstadt Downtown Los Angeles. Aber eigentlich ist ja doch alles Bangladesch. Und eigentlich ist das auch völlig egal. Ich will nicht mehr mitmachen bei deinem Schönheitswettbewerb. Du sagst es nicht, aber deine Ansprüche sind gestiegen.  Freunde von Freunden haben es mir erzählt. Ist ja auch ok. Die Zeiten ändern sich. Die Weltzeituhr bleibt nicht stehen. Und doch kann und will ich mit deiner Lebensgeschwindigkeit nicht mehr mithalten. Ich will alles, was du nicht bist.

Woran merkt man, dass es vorbei ist?

Ich gehe durch die Straßen, höre unser Lied und fühle: Nichts. Keine wohlige Melancholie. Nicht die kitschige Freude, genau hierher zu gehören, zu dir. Früher konnte ich nie lange von dir getrennt sein. Du warst Zuhause, du warst Leben. Teil von dir zu sein, hieß bewundert werden, beneidet auch. Ich prahlte mit dir vor den Anderen, trug dich wie ein Schmuckstück um den Hals, auf das es Identität stifte.
Und jetzt?
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Deine Offenheit schnürt mir die Kehle zu. Deine Leichtigkeit drückt auf meinen Brustkorb wie ein zu fest sitzender Bügel-BH unter einem zu engen Kleid aus meinen schwedisch-amerikanischen Kleiderschrank. Der Weg zu dir ist beschwerlich geworden. So als ruderte ich bergauf gegen den Strom. Ich rede nicht mehr oft über dich. Wäge ab. „Ja, ist schon schön, aber…“.

Ist es vorbei?

Ich weiß es nicht. Zehn Jahre sind eine lange Zeit. Das verbindet, sagen die Leute. Du hast mir die beste Zeit meines Lebens geschenkt und ich weiß, dass ich nicht ohne dich leben kann.
Vielleicht brauchen wir eine Auszeit.
Vielleicht muss ich dich vermissen, um dich wieder lieben zu lernen.  
Vielleicht können wir Freunde bleiben.

Ich komm‘ dich besuchen.

Berlin.

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